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Auszug aus:                [ Teil 1 ]    [ Teil 2 ]

Harry Pladies:

Ostfriesland zur Zeit Napoleons (Die Leuchtboje, Heft 19, Leer o. J.)

...

OSTFRIESEN werden zum MILITÄRDIENST in der FRANZÖSISCHEN ARMEE gezwungen

Als Friedrich II., König von Preußen, im Jahre 1744 von Ostfriesland Besitz ergriff, sicherte er seinen neuen Untertanen die Befreiung vom Militärdienst auf ewige Zeiten, in Krieg und Frieden, zu.

In Frankreich beschloß der Nationalkonvent (1793), zur Verteidigung Frankreichs die allgemeine militärische Dienstpflicht einzuführen. Das war die Geburtsstunde des Volksheeres. Der Grundsatz: "Jeder Franzose ist Soldat und zur Verteidigung des Vaterlandes verpflichtet" galt auch für eroberte Gebiete. So mußten die Ostfriesen ebenso wie die Franzosen Soldaten der Großen Armee werden.

Die erste Aushebung von Soldaten fand in Ostfriesland im März/April 1811 statt. 228 Männer im Alter von 23 Jahren sollten Soldat werden: 152 waren für die Armee, 76 für die Marine bestimmt. Verheiratete Männer, Witwer mit Kindern, Geistliche und Körper behinderte waren vom Militärdienst befreit. Es gab 1049 wehrpflichtige junge Männer. Das Los sollte entscheiden. Derjenige, der ein Los mit einer Zahl zwischen 1 und 228 gezogen hatte, mußte sich einer besonderen Kommission vorstehen, die endgültig über seine Einberufung entschied. Doch gab es Möglichkeiten, dem Militärdienst zu entgehen. Der junge Mann konnte mit Einverständnis eines anderen sein gültiges Los gegen dessen ungültiges eintauschen. Er konnte auch einen Stellvertreter schicken. Für den Lostausch mußten 100 Francs, für den Stellvertreter 1500 bis 3000 Francs gezahlt werden. Eltern, Geschwister und Verwandte legten all ihr Geld zusammen, um einen Angehörigen freizukaufen. Aber nur wenige konnten die geforderte Summe aufbringen.

Die ausgewählten 228 jungen Männer mußten sich am 8. April 1811 in Aurich einfinden. 45 von ihnen brauchten die Heimat nicht zu verlassen. Sie traten in die Garde des Präfekten ein. Die übrigen verließen zwei Tage später die Stadt. Bis zum Stadttor wurden sie von ihren Angehörigen und Freunden begleitet. Für manchen war es ein Abschied für immer. Bewacht von französischen Soldaten, marschierten die Rekruten zu ihren Regimentern nach Paris, Amsterdam und Groningen. Die Seeleute kamen nach Amsterdam und Rotterdam. Diese erste Aushebung vollzog sich ohne besondere Zwischenfälle. Als 300 Seeleute im Alter von 24 bis 49 Jahren zum Seedienst "ausgehoben" werden sollten, kam es zu Unruhen.

Am 2. April 1811 versammelten sich die wehrpflichtigen Schiffer und Seeleute des Bezirks Leer in der lutherischen Kirche zu Leer. Auch bei ihnen mußte das Los entscheiden. Der Vertreter des Präfekten, ein Ostfriese, sprach die Männer in ihrer heimatlichen Mundart an und forderte sie auf, dem Gesetz zu gehorchen. Aber kaum hatte er seine Rede beendet, erhob sich zunächst unwilliges Gemurmel, dann lautes Geschrei. Obwohl den Protestierenden mit schweren Strafen gedroht wurde, schwoll der Lärm immer mehr an. Eine bewaffnete Wache besetzte die Kirchentür. Aber was sollten die wenigen Soldaten gegen die große Menschenmenge, die sich inzwischen vor der Kirche eingefunden hatte, ausrichten? Es kam zu einem Handgemenge. Ein Soldat wurde durch die Kirche geschleift und blutig geschlagen. Nur mit Mühe und Not konnte er sich in Sicherheit bringen. Die Männer in der Kirche weigerten sich, ein Los zu ziehen. Sie setzten ihren Willen jedoch nur vorübergehend durch. Einige Tage später mußte jeder sein Los ziehen, denn eine schwer bewaffnete Kompanie Soldaten stand bereit, einen neuen Aufruhr mit Gewalt zu verhindern.

Eine Woche danach versammelten sich über 600 Schiffer und Seeleute aus den Bezirken Timmel, Aurich, Berum und Norden in Aurich. Auch sie waren nicht freiwillig gekommen, sondern zur Musterung in das Auricher Schloß befohlen worden. Wen würde das Los treffen? Als erste wurden die Schiffer des Bezirks Timmel in den Schloßsaal geführt. Dort saß der Rekrutierungsrat hinter einem langen Tisch. Aber kaum hatte die Musterung begonnen, gerade war Nummer 8 an der Reihe, da wurden die versammelten Schiffer unruhig. Verstohlenes Flüstern, halblautes Geraune schwollen zu lautem Protest an. Nicht nur in Worten zeigte sich die Empörung der Schiffer. Ein Knüppel, von hinten geworfen, flog auf den Tisch, an dem die Kommission saß. Die wütende Menge drängte nach vorn. Einer schlug mit dem Prügel auf den Tisch, ein anderer läutete die von der Decke herabhängende Glocke. Ein dritter schlug mit einem dicken Stock den großen kristallenen Kronleuchter in Stücke Der Tumult wurde so stark, daß der Rekrutierungsrat aus dem Saal flüchtete.

Aber der Präfekt wollte das einmal begonnene Vorhaben nicht abbrechen. Er befahl, die Musterung draußen auf dem Schloßplatz unter freiem Himmel fortzusetzen. Kaum hatte die Kommission dort Platz genommen, erhob sich der Lärm von neuem. Die Schiffer schwenkten ihre Knüppel, schirnpften, tobten, bedrängten und bedrohten einen Beamten. Selbst der Präfekt geriet in das Gedränge. Er erhielt zwei Stockhiebe in den Nacken. Um sein Leben zu retten, floh er über die an der Nordseite des Schlosses gelegene Brücke und dann weiter durch den Graben.

Nun rückte französisches Militär im Sturmschritt unter Trommelwirbel zum Schloß vor. Der Tumult auf dem Schloßplatz hörte auf. Die Menge lief auseinander, der Lärm verebbte. Am Nachmittag des gleichen Tages ließ der Präfekt in der ganzen Stadt ausrufen, daß sich alle vorgeladenen Schiffer vorerst wieder nach Hause begeben sollten. Viele Männer blieben jedoch noch in Aurich. Militärstreifen wiesen sie bald aus der Stadt.

Dieser Aufstand sollte nicht ungesühnt bleiben. Militär marschierte nach den Fehnen, um die Rädelsführer zu verhaften. Es kam aber nicht weit, denn auf dem Weg zwischen Timmel und Neuefehn warteten bewaffnete Fehnbewohner auf die anrückenden Soldaten. Von beiden Seiten wurde geschossen. Die Fehntjer leisteten so heftigen Widerstand, daß das Militär unverrichteter Dinge nach Aurich zurückkehren mußte. Kurze Zeit später brachen 600 Soldaten in aller Stille wieder nach den Fehnen auf. Jetzt war jeder Widerstand sinnlos. Die Teilnehmer an den Unruhen versteckten sich oder flüchteten. Die Soldaten durchsuchten die Häuser, nahmen einige Männer fest und schafften sie unter Bewachung nach Aurich. Viele Soldaten blieben in den Fehndörfern, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Am 24. Mai 1811 tagte im Auricher Schloß ein französisches Kriegsgericht. 21 Männer aus Großefehn, Boekzetelerfehn, Jheringsfehn und Moordorf wurden angeklagt, die kaiserliche Macht durch Bewaffnung, Bürgerkrieg, ungesetzlichen Gebrauch von Waffen, durch Zerstörung und Plünderung beunruhigt zu haben. Hinter verschlossenen Türen fällte das Gericht die Urteile:

Focke Friedrich Janssen aus Großefehn und Johann Friedrich Reck aus Moordorf wurden zum Tode verurteilt.
7 Angeklagte, die sich durch die Flucht gerettet hatten, wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
2 erhielten eine 16jährige Kettenstrafe.
5 wurden für 6 Monate,
1 für ein Jahr unter Polizeiaufsicht gestellt.
4 wurden freigesprochen.

Die beiden zum Tode Verurteilten wurden schon am nächsten Morgen auf dem Kirchdorfer Felde bei Aurich erschossen. Das Urteil mußten 2000 Exemplaren gedruckt und in allen Orten an öffentlichen Gebäuden oder Kirchen zur Abschreckung angeschlagen werden.

Selbst der Kaiser erhielt einen Bericht über den Aufstand. Er ordnete noch schärfere Maßnahmen gegen die widersetzlichen Ostfriesen an: Alle Seeleute, die in den Fehndörfern des Unterbezirks Timmel wohnten, sollten ohne Ausnahme, gleich ob schuldig oder unschuldig, verhaftet werden. Des Kaisers Befehl wurde ausgeführt. Man brachte fast 300 Seeleute unter starker Bewachung nach Antwerpen. 137 von ihnen kamen von dort auf die Festung Lille, die anderen mußten in Toulon auf französischen Kriegsschiffen dienen.

Auf den Fehndörfern herrschte große Not, denn die meisten arbeitsfähigen Männer waren fort. Wie groß die Armut der betroffenen Familien war, zeigt folgender Brief an den französischen Präfekten in Aurich:

"Wir Unterzeichneten bezeugen hierdurch, daß die Vorzeigerin dieses, des Schiffers Jürgen Gerdes Bekman Ehefrau, Antje Otten Woelf, eine mit von den bedürftigsten Weibern dieses Fehnes ist, von welchem die Männer entführet sind. Erstlich ist diese Frau im verwichenen Frühjahr mit vier noch sehr kleinen Kindern allein geblieben, wovon das jüngste erst sehr wenige Tage vor der Abreise ihres Mannes geboren ist. Da nun die Frau sich und ihre vier Kinder mit Unterhalt versorgen muß, und diese Eheleute wegen Mangel an Geld, welcher von den vielen Abgaben, die sie jährlich haben, entstanden ist: so haben sie auch keinen Mist mehr für ihr Land kaufen können, daher hat diese Frau im verwichenen Sommer auch fast keine Früchte erhalten, wenigstens bei weitem nicht so viel, als zu ihrer und zu der Erhaltung ihrer Kinder erforderlich ist. Auch können, wenn alle ihre Güter nebst Haus und Land jetzt verkauft würden, bei weitem ihre Schulden davon nicht bezahlt werden. Übrigens erhellet ihr Unvermögen noch daraus, daß der Jürgen Gerdes Bekman bei seiner Abreise kein Geld mitgenommen hat, und daß seine Frau ihm auch während seiner Abwesenheit noch nichts hat nachschicken können. Daß dieses die gründliche Wahrheit ist, bezeugen wir mit der Unterschrift unserer Namen.

Große-Fehn, 25. December                             Felde Theyen Bauman, Schullehrer
                                                                             I. A. Holtz, Pastor
                                                                            Jan Arljets"

Die unglücklichen Bewohner verfaßten Bittschriften an den Kaiser. Ein Jahr darauf wurden die Seeleute wieder freigelassen und kehrten nach Hause zurück.

Die Ostfriesen fügten sich seitdem den Gesetzen. Bei weiteren Zwangsrekrutierungen blieb es ruhig. Einige Dienstpflichtige versuchten jedoch, sich durch die Flucht dem Militärdienst zu entziehen. Sie wurden steckbrieflich gesucht:

"Dreihundert Franken Belohnung werden demjenigen von der Gommune Esens zugesichert, welcher den Conscrit refractair vom Jahre 1812, Lammert Janssen Mennen, dem Maire der Commune Esens innerhalb 14 Tagen überliefert, oder auch nur solche Nachrichten gibt, daß derselbe wieder habhaft gemacht werden kann!
    Esens, den 29. September 1813"

Nicht nur dem Flüchtigen, auch seinen Angehörigen und seiner Gemeinde drohten Strafen. In den Familien quartierten sich französische Soldaten ein. Für die Kosten mußten entweder die Angehörigen oder die Gemeinde aufkommen. Die wirtschaftliche Not zwang manchen Vater, manche Gemeinde, den Geflohenen durch öffentliche Anzeigen aufzufordern, freiwillig zurückzukehren.

"Emke Emken, Conscribirter der Classe 1812, welcher bei der letzten Losung Nr.12 gezogen und sich nach seiner Aufforderung bei dem Appell nicht gestellt hat, wird hiemit von seinem alten Vater dringend aufgefordert, sich von Stund an wiederum freywillig einzustellen, damit ich wie auch er selbst und auch sowohl die Commune von den unglücklichen Folgen verschonet werden.
        Westeraccum, den 27. April 1813                                                                 Hinrich Emken"

Insgesamt dienten 2466 Ostfriesen in der französischen Armee oder Marine. Wie viele von ihnen die Feldzüge und Schlachten Napoleons überlebten und wieder in die Heimat zurückkehrten, ist nicht bekannt.

...

Fortsetzung

Zitiert nach:
http://www.rhaude.de/napoleon/mititaer/napoleon.htm


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