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Auszug aus:                                [ Kap. XII. ]   [ Kap. XIII. ]

Franz Poppe (1834 - 1915):

Das Lerchennest am Stau; heimatliche Erzählung

[1813]
...

XII. Volksaufstände und Aufruhr in Oldenburg

"Auch den Russen hatte es Napoleon verboten, mit England Handel zu treiben, allein der Kaiser Alexander trotzte seinem Gebot. Er war zu sehr beleidigt dadurch, daß Napoleon unsern Herzog, den nahen Verwandten des russischen Kaiserhauses, seines Landes beraubt hatte. Zudem tat unser Herzog Peter in Rußland alles, um die Feindschaft gegen Napoleon zu schüren und das russische Militär kriegsbereit zu machen. Er gründete sogar eine russisch-deutsche Legion. Ihr wißt, daß Napoleon im Juni 1812 mit einem Heere von einer halben Million, bestehend aus Franzosen, Italienern, Deutschen usw., nach Rußland zog und seinen siegreichen Einzug in Moskau hielt, das aber, von den Russen selbst angezündet, in einem Flammenmeer aufging. Das Weitere, wie er den Rückzug antreten mußte, wie sein Heer von den beiden Generalen Hunger und Frost gänzlich aufgerieben wurde und wie er selbst in einem elenden Schlitten flüchtete, könnt ihr in der Weltgeschichte nachlesen.

Mit Mann und Roß und Wagen,
So hat sie Gott geschlagen!

Sobald die Kunde von der Niederlage der Franzosen erscholl, was aber nicht so rasch ging, wie bei dem jetzigen Verkehr, erhob sich überall das Volk gegen seine lange verhaßten Unterjocher. Auch zu uns war die Kunde gedrungen. Es hieß; die Russen seien bereits unter dem General Tettenborn in Hamburg eingerückt, und die Franzosen hätten sich auf Bremen und weiter zurückgezogen. In den Unterweserdistrikten, Stade, Bremerlehe usw. brach zuerst die Bewegung aus; denn die dortige Bevölkerung, namentlich die Schiffer, hatten zu sehr durch die Beschränkung der Schiffahrt und die Aushebung zum Marinedienst gelitten. Auch in Blexen ging es los. Hier hatten die Franzosen eine Batterie errichtet und mit ihren Soldaten besetzt, um ein Landen der Engländer zu verhindern. Diese Batterie wurde genommen, die Franzosen zum Abzug genötigt, die Magazine und Vorräte geplündert, die Kassen geplündert, die französischen Wappen abgerissen usw. Wenn nicht an jedem Orte alle diese Gewalttätigkeiten verübt wurden, das eine oder das andere geschah sicher. Wie überall bei solchen Volksaufständen spielte der Pöbel, Leute, die nichts zu verlieren haben, die erste Rolle. Später, als die Franzosen noch einmal wieder zurückkehrten, hatten die Blexer für diese Ausschreitungen schwer zu büßen. Die Leute, siebenundzwanzig, welche die Batterie verteidigten, wurden gefangen genommen, mehrere derselben, man sagt elf, auf dem Kirchhofe erschossen, die letzten zwei vor dem Heiligengeisttore (27. März). Es sollten eben Exempel statuiert werden, wie man das nennt, um die Bevölkerung in Furcht zu versetzen. C´est la guerre. Was das heißt, sollten wir hier in Oldenburg leider auch bald gewahr werden.

In dem Benehmen und in den Gebärden der Franzosen fiel uns bald eine gewisse Ängstlichkeit auf, als ob sie dem Braten nicht so recht mehr trauten, wie man zu sagen pflegt. Einzelne Kosaken seien schon bis Bremen gekommen, hieß es, und bald nahe die Erlösung. Es verbreitete sich zugleich das Gerücht, Tausende von Schiffern und Landleuten zögen von der Unterweser gegen Oldenburg heran, um die Stadt von den Franzosen zu säubern. Dazu waren die Oberbehörden in Bremen so unvorsichtig, die hiesigen Gendarmen abzuberufen und den Unterpäfekten Frochot ohne Schutz zu lassen. Pöbelhaufen sammelten sich am folgenden Morgen auf dem Markt, auch hier am Stau und in einzelnen Straßen und vermehrten sich durch hergelaufenes Gesindel aus der Umgebung. Hätte man diese Zusammenrottungen auseinander getrieben und wären die Gendarmen gleich abgezogen, so wäre vielleicht alles gut gegangen. Allein diese zogen sich in die Ställe beim Schloß zurück, während der Volksauflauf zunahm, und spähten manchmal ängstlich zur Tür heraus auf den Schloßplatz, ob der Haufe sich nicht zerstreuen werde. Dieser aber wurde immer größer und aufgeregter, und endlich, gegen Abend, wurden schon einzelne herausgerissene Pflastersteine gegen die Stalltüren geschleudert. Da erst sprengten die Gendarmen heraus und unter die Menge, die sofort auseinander stob. Von Schimpfworten und Steinwürfen einzelner bis an die jetzige Cäcilienbrücke verfolgt, jagten die Gendarmen davon. Ihr Gepäckkarren wurde geplündert und ins Wasser geworfen. Dann zog der Pöbelhaufe nach dem Zuchthause, in welchem sich das Magazin der Douanen befand, um dieses zu plündern. Nur mit Mühe gelang es der erst kürzlich organisierten, noch schlecht bewaffneten Bürgerwehr, den Haufen zu zerstreuen und so die Nachtruhe zu sichern (17. März).

Die Gärung im Volke wuchs aber fortwährend. Es erschien unmöglich, die Ordnung aufrecht zu erhalten, da legte der damalige Maire Erdmann sein Amt nieder (auch er wurde verhaftet, nach Bremen zur Untersuchung abgeführt, aber wieder freigelassen), und der Unterpräfekt ernannte zur Wahrnehmung der Geschäfte des Magistrats, damals Munizipalität genannt, eine aus fünf Personen bestehende Kommission, nämlich die Herren Kanzleiräte von Finckh und von Berger, ersteren als Vorsitzenden, und zwei Mitglieder des vormaligen Stadtmagistrats, meinen Nachbarn, Herrn Kaufmann Klävemann, und den Herrn Kaufmann Bulling und außerdem den Arrondissementsrat von Negelein. Das geschah am 19. März. Ich blieb glücklicherweise verschont, weil ich nie nach Ehrenämtern getrachtet habe, wenn ich auch in damaliger Zeit häufig unentbehrlich war. Das liegt mir nicht im Blut. Ehrenämter rauben auch viel Zeit und bringen uns manchmal Ärger und Verdruß. Mein Vater pflegte zu sagen;

Vor Ehrenämter nimm dich in acht, Sie haben schon manchen in Unglück gebracht.

Hier könnte man auch sagen:

Sie haben schon manchen ums Leben gebracht.

Denn es kam noch schlimmer. Noch an demselben Morgen nämlich wurde der Herr Unterpräfekt ebenfalls nach Bremen abberufen, und sogar Gendarmen wurden von Bremen aus eigens zu seiner Deckung abgeordnet. Das war sehr verdächtig. Bevor er aber abzog, bevollmächtigte er die Kommission, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die öffentliche Ruhe zu erhalten. Er werde nur wenige Tage in Bremen verweilen, und auf die Nachricht der geringsten Unordnung in Oldenburg werde er von dem Präfekten und den Generälen die Absendung eines Truppenkorps verlangen. Ausfertigen sollte die Kommission ihre Beschlüsse und Maßregeln mit der Unterschrift:

"Unterpräfektur von Oldenburg. Für den Auditeur-Unterpräfekten die provisorische Kommission des Arrondissements Oldenburg".

Auch bat er sie, ihn öfters von den wichtigen Neuigkeiten, welche sich ereignen könnten, und von den Mitteln, welche sie dagegen ergriffen, zu benachrichtigen. Nach diesen Verfügungen zog er nachmittags mit den noch anwesenden Franzosen unter Deckung der Gendarmen und von der berittenen Bürgergarde unter ihrem Hauptmann de Cousser auf eine Stunde weit, bis Bümmerstede, begleitet, ruhig nach Bremen ab. Das Dammtor wurde hinter den Abziehenden geschlossen, damit ihnen niemand folgen sollte.

Ein allgemeiner Jubel brach nun in der Stadt los, und hin und wieder wehten schon Oldenburger Flaggen und Fahnen. Denn das Volk stand in dem Glauben, nun würden die alten Zustände und die herzogliche Regierung zurückkehren, mit der Herrschaft der Franzosen sei es vorbei. Sofort erließ hierauf die Kommission eine Proklamation an sämtliche Einwohner des Arrondissements Oldenburg. In dieser Proklamation machten sie das Volk mit ihrer Ernennung bekannt und ermahnten es dringend zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe. An Stelle des entlassenen Maire (Erdmann) ernannten sie, dem Wunsche der Bürgerschaft entsprechend, bekannte und geachtete Bürger zu beigeordneten Mitgliedern der Stadtkommission. In den übrigen Gemeinden des Arrondissements sollten die bisherigen Maires bleiben, aber unter dem Titel Gemeinde-Kommissäre, bis über eine anderweitige Besetzung verfügt werde. Die Proklamation schloß mit der Ermahnung an sämtliche Mitbürger, die ferneren Ereignisse mit Ruhe, Biederkeit und Treue abzuwarten, und mit der Aufforderung an sämtliche Herren Friedensrichter und Prediger, zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe ihren ganzen Einfluß zu verwenden.

Unterzeichnet war die Proklamation nicht wie vorgeschrieben, sondern wörtlich:

"Die provisorische Administrativ-Commission des Arrondissements Oldenburg
C.D. von Finckh. A.L. von Berger. P.L.C.F. von Negelein. J.D. Klävemann. G.N. Bulling."

Diese Proklamation wurde abends nach ankündigenden Trompetenstößen an allen Straßenecken laut verlesen. Allein das Volk ließ sich hierdurch in seinem Freudenrausch nicht stören, ohne sich jedoch zu beunruhigenden Ausschreitungen hinreißen zu lassen. Auf allen Schiffen hier am Stau wehten die Oldenburgischen Flaggen. Alte Fahnen und Flaggen wurden hervorgesucht und umhergetragen, wobei unaufhörlich der Ruf erscholl: "Hoch lebe Peter Friedrich Ludwig!" Das oldenburgische Wappen am Schloß hatten die Franzosen früher überkalkt. Jetzt wurde es wieder hervorgekratzt, während die französischen Wappen und Adler heruntergerissen und vernichtet wurden. Auf dem Schloßturme und auf dem Lappan und überall flatterten die blau-roten Fahnen. Mit Dunkelwerden wurde die ganze Stadt illuminiert. Singende und jubelnde Scharen von Schiffern, Handwerksleuten, sogar älteren Männern, auch Mitglieder der Bürgerwehr und viele Kinder zogen bis nach Mitternacht durch die Straßen, und vor den beleuchteten Bildern des Herzogs schwenkten sie die Mützen und Hüte und brachten schallende Hochs auf den angestammten Landesherrn aus, während überall, auf dem Marktplatz und in den Straßen, Freudenschüsse knallten. Die Kinder sangen:

Eins, zwei, drei!
Mit den Franzosen ist es vorbei!
In Deutschland sind sie fett gemacht,
In Rußland sind sie abgeschlacht´.
Eins, zwei, drei!
Mit den Franzosen ist es vorbei!

Der Freudentaumel und die Begeisterung der wieder auferwachten Volksseele waren so hinreißend, daß selbst besonnene Personen mit in dem Jubel fortgezogen wurden. Aber leider hatte man sich zu früh der hellen, patriotischen Freude hingegeben.

Folgenden Tages ließ die Kommission eine zweite Bekanntmachung anschlagen, woraus man ersehen konnte, daß alle Behörden sich nach den in Gültigkeit bleibenden französischen Gesetzen richten würden. Es blieb also alles beim Alten. Das wirkte auf die Bevölkerung wie ein Schreckschuß. Sie kam zur Besinnung; man nahm in aller Stille die oldenburgische Fahne wieder vom Schloßturm herunter und verhielt sich stumm und still. Die Kommission ernannte noch den Kaufmann de Cousser, den ich schon wiederholt erwähnt habe, zum M*** Mensch ***kommissär für etwaige Truppendurchzüge. Das war ihre letzte Amtshandlung.

Inzwischen war der französische General Carra St. Cyr mit seinen Heerhaufen, von Hamburg kommend, in Bremen eingezogen. Der Oberpräfekt, Graf von Arberg, mißbilligte alle Verfügungen des Unterpräfekten. Dieser kehrte zurück. Die Kommission erhielt ein Schreiben, wonach sie aufgehoben und ihr bisheriges Verfahren in drohender Sprache verurteilt wurde. Da hielten es die Mitglieder für geraten, sich aus dem Staube zu machen und sich bei Freunden auf dem Lande zu verbergen. --
Noch größer wurde der Schreck, als sich die Kunde verbreitete, ein französisches Truppenkorps von etwa 1000 Mann, die sog. Colonne mobile, unter der Anführung des Bataillonschefs Allouis, rücke heran. Sie war die Weser hinunter nach Blexen gezogen und hatte dort, wie schon erzählt, an den Empörern schreckliches Gericht geübt. Am 27. März kam diese raub- und mordgierige Horde in Oldenburg an, erpreßte 3000 Taler Kriegssteuern und rückte nach Bremen ab.

Damit schien alle Gefahr beseitigt, und die Kommissionsmitglieder kehrten aus ihren Verstecken in die Stadt zurück. Es wurde damals und auch später gemunkelt, sie seien durch das Schreiben eines Verräters, es habe keine Gefahr mehr für sie, hervorgelockt worden, aber dann hätte dieser ja nur einfach ihren Aufenthaltsort, den er doch kennen mußte, anzeigen können. Der Mann, auf den der Verdacht geworfen wurde, war auch ein zu ehrenhafter, ritterlicher Herr, als daß er einer solch niedrigen Tat fähig gewesen wäre. --

Der Unterpräfekt ließ die früheren Kommissionsmitglieder zu sich kommen, verwies ihnen, daß sie seine Vollmacht, wie er meinte, überschritten hätten und gab ihnen schließlich auf Ehrenwort die Versicherung, damit sei alles abgetan, sie brauchten weiter keine Sorge zu haben. Das geschah am 3. April. Allein Herr von Berger hielt es doch für geraten, eine sehr beredte, erschöpfende Rechtfertigungsschrift an den Oberpräfekten zu senden, die aber nicht an ihn gelangt sein soll. Sie wurde zwar nachher im Gerichte durch Herrn von Berger vorgelesen, hat aber nichts genützt. Darüber braucht man sich im Grunde nicht zu wundern. Denn die französische Nation und ihr höchster Machthaber hatten in letzter Zeit schwere Niederlagen erlitten und durften von keiner Seite Gutes erwarten. Daher waren sie mißtrauisch geworden und kannten in ähnlichen Fällen keine Gnade und kein Erbarmen. Der Kaiser Napoleon hatte auch schon im Januar 1813 einen Befehl durch den Kriegsminister erlassen, daß jede Beleidigung der Franzosen, Aufhetzung zum Aufruhr usw. durch Urteil des Kriegsgerichts mit dem Tode bestraft werden sollten.

Inzwischen war der tapfere, aber sehr grausame französische General Vandamme mit einem Heer in Bremen eingerückt. Er war vom Kaiser beauftragt, mit allen Mitteln Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Am 3. April kamen 500 Mann Infanterie in Oldenburg gezogen, und wie dumpfe Gewitterschwüle lag es über Stadt und Land.

Fortsetzung


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